Die Herausforderungen auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem sind bekannt. Die klassische BWL vermittelt Studenten jedoch Annahmen, Methoden und Modelle, die einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise nicht gerecht werden. Um die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Vereinten Nationen zu erreichen, setzt an der Technischen Hochschule Nürnberg (THN) das Modul Studium Fundamentale im Studiengang Management in der Ökobranche neue Akzente.
Die Bedeutung des Forschungsprojekts Curriculum Z. lässt sich an einer alltäglichen Erfahrung illustrieren. In einem Nürnberger Biomarkt kosten Öko-Tomaten aus dem Knoblauchsland vor den Toren der Stadt das Doppelte wie die Bio-Alternative aus Spanien. Geht man von vergleichbaren Bio-Standards aus, müsste allein der Transport aus der spanischen Region Almería, dem sogenannten Gemüsegarten Europas, mit über 2.200 Kilometer nach Nürnberg für ein umgekehrtes Preisverhältnis sorgen.
Jan Niessen, Professor für Strategische Marktbearbeitung in der Ökobranche und Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Nürnberg, winkt ab. Für den Projektleiter von Curriculum Z. spiegeln sich in den ungleichen Preisen eben nicht nur Anbau, Transport und Handelsaufschlag wider. „Oftmals stehen der spanische Mindestlohn und die 40 Stundenwoche nur auf dem Papier“, erklärt er. Es würde aber unbezahlt viel länger gearbeitet. Außerdem würde etwa an Schutzkleidung sowie an sanitären Einrichtungen gespart. „Das macht die spanischen Tomaten in der Herstellung deutlich günstiger.“
Homo Oeconomicus ist überholt
Um vor diesem Hintergrund einen ganzheitlicheren Ansatz an die Studierenden der Betriebswirtschaft weiterzugeben, startete wurde die erste Phase von Curriculum Z. zum Wintersemester 2021/2022. So etablierte sich das Fach Studium Fundamentale neu. Es vermittelt lehrplanmäßig Wissen, um eine sozial-ökologische Transformation partizipativ und wohlfahrtsorientiert zu gestalten. Dafür wurden Inhalte, Theorien, Modelle und Lösungsansätze der Wirtschaftswissenschaften mit Blick auf die SDG-Ziele angepasst. „Das klassische Bild des rational handelnden Homo Oeconomicus wird der Komplexität der Welt nicht mehr gerecht.“
Co-Projektleiterin Katrin Schwanke unterstreicht die Notwendigkeit, Studenten die entscheidenden Zukunftskompetenzen für Transformation und nachhaltiges Wirtschaften im 21. Jahrhundert zu vermitteln. „Die planetaren Grenzen sind nicht verhandelbar und Rohstoffe endlich.“ Außerdem bestätige das Gender Pay Gap die nach wie vor unzureichende Chancengerechtigkeit. Auf betrieblicher Ebene könne eine nachhaltige Unternehmenskultur den Weg zum ökologischen Produzieren sowie zu einer wertegeleiteten Führung und Haltung ebnen.
„Ausbeutung anderer Menschen lohnt sich“
Michael Domes, Professor für Theorien und Handlungslehre in der Sozialen Arbeit, bringt die sozialwissenschaftliche Perspektive in das Projekt. Es könne im Studium nicht nur um Geld und Gewinn gehen: „Wir müssen uns auch in der Lehre mehr mit den Grundwerten auseinandersetzen. Es fehlt bislang in der Betriebswirtschaft das soziale Fundament.“ Dafür stellt er bei Seminararbeiten „essayistische Aufgaben“, bei denen die Studierenden nicht nur Wissen wiederkäuen. Bei einem ethischen Spaziergang tauscht sich Domes mit den angehenden Betriebswirten schon mal zu der Frage aus: „Was ist Würde?“ Dabei will er vermitteln, dass Menschenrechte kein abstraktes Thema sind, sondern immer auch eine konkrete Rolle vor Ort spielen. Oder er diskutiert das Freiheitsverständnis und die Rolle individueller Verantwortung. „Es geht um kurzfristige und langfristige Lösungsansätze.“ Und Niessen ergänzt die Frage nach Verantwortung um eine weitere Facette: „Es heißt immer `Leistung lohnt sich´. Tatsächlich lohnt sich bei unserer Wirtschaftsweise die Ausbeutung anderer Menschen und Ressourcen.“
Auch für die Lehrenden ist Curriculum Z. eine Herausforderung, konstatiert Niessen. Denn auch sie müssen ihren Stoff auf Transformation und nachhaltiges Wirtschaften hin prüfen. „Der alte Kram ist widerlegt.“ Schwanke betont, das Wissen zu Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sei vorhanden, nun müsse es in die Lehrpläne integriert werden. „Dafür sind wir verantwortlich“, hebt Domes hervor.
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Beitragsbild v. l.: Die beiden Projektleitenden Katrin Schwanke und Prof. Dr. Jan Niessen im Austausch mit Prof. Dr. Michael Domes