Als Impuls überreicht die IHK Nürnberg den Schutzheiligen der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, an Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Bürgergespräch des Verlags Nürnberger Presse. Der nimmt die Ermahnung gelassen auf. Für ihn stehe der Vater des deutschen Wirtschaftswunders für die „Verbindung von Widersprüchen, eben des Sozialen mit der Marktwirtschaft“. Im Sinne von „Erhard als Schöpfer von Wohlstand“ bedeutet Fortschritt, Dinge anders zu machen, führte er vor den Gästen in der IHK aus. Angesichts großer Umwälzungen sieht er Unternehmen und Gesellschaft in einem Erschöpfungszustand. Dazu haben der Importstopp von billigem russischem Gas, China als aktuell schwacher Akteur auf dem Weltmarkt und der mögliche Rückzug der USA als Zahlmeister für militärische Sicherheit beigetragen. Hinzu kommen ökologischer Transformation, Zinswende und kriegerischen Auseinandersetzungen, die die Stimmung drücken: „Fortschritt hat sich in eine Bedrohung gewandelt.“
Der Wirtschaftsminister rät in diesem Zusammenhang davon ab, angesichts der vielen Herausforderungen den Kopf in den Sand zu stecken. „Denn die Probleme sind noch da.“ So habe die Ampel etwa bei den geplanten Stromtrassen von Nord nach Süd die Dauer der Planungsverfahren um die Hälfte gekürzt. Mit dieser Beschleunigung der Prozesse „macht man sich nicht nur Freunde“, sagte er mit Blick auf die vielen Einzelinteressen beim potenziellen Streckenverlauf vor Ort in den Kommunen. „Da ist uns die Leitidee abhanden gekommen.“
Mehr Risikobereitschaft
Stattdessen wurden und werden politische Vorhaben durch immer neuere Vorschriften abgesichert, am besten würde sich die Verwaltung hinter 140-prozentigen Lösungen verschanzt. Das führe zu der bemängelten Überregulierung und Bürokratisierung. „Es wird alles beklagt und vor Verwaltungsgerichten ausgefochten.“ Habeck bricht stattdessen eine Lanze für mehr Risikobereitschaft. Vielleicht reichen auch nur 80 Prozent oder 90 Prozent Sicherheit, dass bedeute aber auch: „Es kann auch schiefgehen.“
Der grüne Politiker stellt sich geduldig den Fragen aus dem Publikum. Er korrigiert unaufgeregt falsche Informationen und veranschaulicht komplexe Sachverhalte, die sich nicht schnell lösen lassen. Sein Plädoyer für kritische Diskurse untermauert er mit einem Beispiel seines eigenen Sinneswandels. In seiner früheren politischen Laufbahn in Schleswig-Holstein war er ein entschiedener Gegner einer CO2-Speicherung (CCS). Mittlerweile habe er sich auch angesichts neuerer Verfahren zu einem Befürworter gewandelt.