„Im Wahlkampf geben wir langfristigen Investitionen nicht den Raum, der ihnen gebührt.“ Das sagt die Nürnberger Wirtschaftsweise Veronika Grimm in der IHK-Nürnberg. Die Professorin für Energiesysteme und Marktdesign an der Technischen Universität Nürnberg ist seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft und bekannt für streitbare Positionen. So könnten zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben nicht umgesetzt werden, ohne im Zuge von Strukturreformen verlässliche finanzielle Spielräume zu schaffen. Strukturreformen, wie etwa eine längere Lebensarbeitszeit gekoppelt an steigende Lebenserwartung, belasten Betroffene. Diese Position unterstützt auch IHK-Präsident Armin Zitzmann nach enttäuschende Lektüre der der Wahlprogramme. „Dieses Land hat einen Riesenreformbedarf, aber das will keiner hören.“ Von den Parteien befürchtet er „only good news bis zur Wahl, wir als Wirtschaft sehen das etwas anders.
Bei der Veranstaltung „IHK trifft Wissenschaft“ greift Grimm Schlaglichter aus dem Jahresgutachten 2024/25 „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“ der Wirtschaftsweisen (eigentlich: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) heraus. Sie will über den Wahlkampf hinaus als unabhängige Wissenschaftlerin „Themen in die gesellschaftliche Debatte einzubringen“.
Insgesamt sei für den Standort Deutschland „das Bild trüb“. Im Jahr 2025 ist weiterhin nicht mit einer kräftigen konjunkturellen Erholung zu rechnen. So lassen Impulse durch den Konsum trotz höherer Realeinkommen weiter auf sich warten. „Die Sparquote ist hoch, die Menschen sind verunsichert“, führt Grimm aus. Die Industrie leide an einer schwachen Auslastung und schlechter Wettbewerbsfähigkeit. Als „historisch“ bezeichnet sie die derzeitige Situation: „Die deutschen Exporte entwickeln sich schwächer als die Weltkonjunktur.“ Mit Blick auf den Arbeitsmarkt sieht die Wirtschaftsweise ebenfalls Korrekturbedarf. Angesichts des Strukturwandels müsse man sich der Frage stellen, ob das Instrument der Kurzarbeit in diesem Fall noch das richtige Mittel ist.
„Wettbewerb un dKlimaschutz zusammendenken“
Um wieder zu alter Stärke zu kommen, rät Grimm globalen Wettbewerb und Kilmaschutz zusammenzudenken, „das ergibt die führende Technologie“. Dabei sollte man insbesondere China im Auge behalten, die ähnlich wie im Automobilbereich auch im innovativen Maschinenbau mehr Kapazitäten ausbauen. „Wir bekommen einen sehr steifen Gegenwind. Sich hier Vorteile zu erarbeiten, ist schwer.“ Denn die Weltkonjunktur – um Deutschland herum – wächst bereits auf Vor-Corona-Niveau.
Aus der Coronazeit ist die hohe Staatsquote von fast 50 Prozent geblieben, obwohl sie nach der Pandemie wieder hätte fallen müssen. Grimm fordert einen teilweisen Rückzug des Staates aus Wirtschaftsbereichen, die nicht zu den Staatsaufgaben zählen. Sie bevorzugt z.B. beim Klimaschutz eine stärkere CO2-Bepreisung, um im Gegenzug das Regulierungsdickicht zu lichten.
Auch im Strommarkt sollte der Staat den Weg frei zu regionalen Preiszonen machen, findet die streitbare Professorin. Sie weiß, dass das Thema im Freistaat Bayern ein rotes Tuch ist. Denn unterschiedliche Preisregionen machen im windreichen Norden den Strom billiger. „Im Süden wird Strom nicht teurer“, ist sie sich sicher. Die hohe Energienachfrage der bayerischen Industrie könnte aber ein Signal an Investoren sein, Eigenkapital zu allokieren und so den Netzausbau günstiger machen.
Wohnungsmarkt auch für Wirtschaft ein Problem
Außerdem sollte die Politik von Subventionen zu verlässlichen Rahmenbedingungen in den Märkten wechseln. So illustriert sie beispielsweise am Thema Wohnen, dass die Politik mit staatlichen Interventionen überfordert ist. Es werde vom Staat erwartet, „Probleme mit Geld zu lösen, die er aber mit seinen Mitteln nicht lösen kann.“ Die gestiegenen Mieten und eine wachsende Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt sind für die Professorin nicht nur ein soziales Problem, sondern auch eines für die Wirtschaft. „Wir haben keine mobile Gesellschaft“, beklagt sie. So werde auch die Mobilität am Arbeitsmarkt behindert.
Sie plädiert auch für mehr Qualität in der Bildung und bessere frühkindliche Bildung. „In Deutschland ist die Abhängigkeit der Bildungskarriere vom Elternhaus zu groß.“ Wenn man bereits Kinder früh in der Grundschule abhängt, vergeben wir ein großes Potenzial.“ Denn Fach- und Wissensarbeiter bis hin die die Forschungslandschaft sind das eigentliche Potenzial für den Standort Deutschland.
nue-news.de: Grimm: Bei Transformation soziale Härten abfedern