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ConSozial: Ist KI Horror oder Heilsbringer?

Viel Potenzial für Künstliche Intelligenz bei Pflegedokumentationen

In der Sozialwirtschaft reiht sich ein Problem an das andere. Die Pflegeversicherung ist in gefährlicher Schieflage, Pflegeheime klagen über späte Zahlungen der Ämter. Energiekosten und Lohnsteigerungen sorgen für weiteren Druck. Und in den nächsten Jahren geht fast ein Drittel der Mitarbeiter in den Ruhestand. „Der Fachkräftemangel ist in den sozialen Berufen besonders belastend“, konstatiert Alena Buyx zur Eröffnung der zweitägigen Nürnberger Kongressmesse ConSozial. Sie ist Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der TU München. Sie sieht etwa bei Pflegedokumentationen viel Potenzial für Künstliche Intelligenz (KI). Bislang werde für die bürokratischen Pflichten „rund 40 Prozent der Zeit mit administrativen Aufgaben vergeudet“.

Buyx nimmt die Sozialbranche, aber auch die gesamte Gesellschaft in die Pflicht. Man müsse sich frühzeitig mit den Entwicklungen beschäftigen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. „Die Technologie hat keine Seele“, sondern liefere nur Antworten nach einem trainierten, statistischen System. Im Praxistest mit Pflegefachkräften ist auch ein geplanter Pflegeroboter zum Füttern durchgefallen. Essen verabreichen stehe für „menschliche Interaktion, pflegerische Zuwendung und persönlicher Austausch“. Ohne diesen Praxisinput wäre der Roboter allerdings gebaut worden.

„Das System macht auch Fehler“, warnt die Medizinethikerin vor blindem Vertrauen. Zwar gebe es in den USA positive Erfahrungen etwa beim Aufnahme- und Entlassungsmanagement in Krankenhäusern durch einen Chatbot, weil der alle Fragen „mit endloser Geduld“ auch doppelt und dreifach beantwortet. In langen Gesprächen habe die KI aber auch schon mal den Patienten eine Scheidung empfohlen. Das ist allerdings noch nicht so gefährlich, wie ein digitaler Psychotherapeut, der ebenfalls in den USA zum Suizid geraten habe.

Der Kollege Computer stößt auch bei der Prognose von akutem Nierenversagen auf Station an seine Grenzen. Zwar habe die KI bei der Vorausschau von 48 Stunden eine Trefferquote von rund 80 Prozent. Doch als Buyx sich die Zahlen genauer anschaut stellt sie fest: Die KI reproduziert eine Schlagseite durch die zuvor gefütterten Daten. Daher liegt die Trefferquote bei Männern sogar noch höher, bei Patientinnen fällt sie entsprechend geringer aus.

Neben Arbeitskräftemangel und Bürokratie verweist Michael Groß, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), bei seinem Grußwort auf weitere Baustellen der Branche. So seien manche Menschen bei der digitalen Teilhabe abgekoppelt, weil sie kein Geld für ein Laptop haben oder mit der Online-Terminbuchung bei Behörden überfordert sind. Die freie Wohlfahrtspflege kümmere sich auch um bundesweit 2,7 Millionen Kinder und Jugendliche mit Armutserfahrung. In manchen Jugendeinrichtungen werde statt sozialer Arbeit Essen für die Klienten gekocht. Groß forderte deshalb: „Wir brauchen finanziell starke Kommunen, denn vor Ort wird investiert.“

Zum 25. Jubiläum der ConSozial als mittlerweile größte Sozialmesse in Deutschland kam auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Er sicherte der ConSozial als Veranstaltung des Sozialministeriums weitere Unterstützung für die Zukunft zu: „Die Messe braucht es.“ Die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft, allein im Freistaat sind es 455.000 Festangestellte plus 136.000 Ehrenamtliche, „sind diejenigen, die unser Land am Laufen halten“. Das sollte auch die Gesellschaft anerkennen: „Ab und zu applaudieren, reicht nicht.“ Vielmehr gehe es auch um angemessene Bezahlung.

Für Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf als Veranstalterin ist die ConSozial eine wichtige Inspiration für die Bereiche Pflege, Bildung und Sozialmanagement. Sie erwartet mehr als 5.000 Besucher bei den über 200 Ausstellern in den Messehallen sowie im Kongress.