Der Schlagabtausch zwischen der EU und China dreht sich aktuell um Ausschreibungen für Medizintechnik. Die EU-Kommission sieht europäische Anbieter bei chinesischen Ausschreibungen systematisch benachteiligt und hat daher chinesische Unternehmen von öffentlichen Aufträgen für medizinische Geräte ab 5 Millionen Euro ausgeschlossen. Nun reagiert das Reich der Mitte mit einer Retourkutsche in ähnlicher Höhe. Das dürfte manch ein Unternehmen aus dem Medical Valley der Metropolregion Nürnberg treffen. Aber die mittelfränkische Wirtschaft gerät auch grundsätzlich mit ihrem Chinageschäft unter Druck. Denn die Wirtschaft im Reich der Mitte hat nach der Coronapandemie noch nicht zu alter Stärke zurückgefunden.
Früher bewährte Geschäftsmodelle müssen nun auf dem Prüfstand. Zumal auch nicht abzusehen ist, welche Auswirkungen der Großmachtkonflikt zwischen den USA und China auf Export oder Produktion vor Ort haben. Vor diesem Hintergrund plädierte Christian Sommer, CEO & Chairman des German Centre Shanghai, für ein neues Chinabild. Das stellte er auf Einladung des Chinaforum Bayern in die IHK Nürnberg für Mittelfranken vor. Dort sprach er zum Thema „Zwischen Konsumstau und Handelsschranke – bleiben deutsche Firmen in China auf der Strecke?“
„Es kommt darauf an“, lautet die Antwort von Sommer, der seit rund 30 Jahren in China lebt. Der Jurist rückte einerseits die Wirtschaftspolitik der chinesischen Zentralregierung in den Fokus. Andererseits identifizierte er auch Aufgaben für deutsche und europäische Unternehmen. So leide im Reich der Mitte die Wirtschaft an Long-Covid. Die Immobilienkrise nach einem gigantischen Bauboom hat die Mietpreise in den Keller gedrückt. Zwar ist die Wirtschaft offiziellen Zahlen zufolge mit 5,1 Prozent und damit etwas über Plan gewachsen. Für Sommer sind die Zahlen nicht unbedingt falsch, aber man könne sie auch nicht nachvollziehen.
Ähnlich beschreibt er die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die zuletzt bei 20 Prozent gelegen habe. Angesichts dieser schlechten Zahlen sei diese Berechnung umgestellt worden, so dass sie nun bei nur noch fünf Prozent liege. Aber de facto ist die Unsicherheit der chinesischen Eltern geblieben, ob ihre Kinder eine gut bezahlte Arbeit finden. „Das Vertrauen der Bevölkerung ist angeknackst, es herrscht ein ruinöser Preiskampf.“
Daher stimuliert die Regierung die Kauflust der Verbraucher mit subventionierten Konsumgutscheinen und Hypothekenkrediten. „Wir erleben ein Vorzeichen des Konsums zu unrealistischen Preisen.“ So werde beispielsweise ein Reiskocher mit rund 40 Prozent vom Staat alimentiert. Sommer wertet das zwar als eine gutgemeinte Maßnahme. Der mittel- und langfristige Effekt könnte allerdings bei der Zahlungsbereitschaft nach hinten los gehen.
Die zentralistische Steuerung kämpfe aktuell an vielen Fronten. Angesichts der Probleme der Rentenkasse wird etwa das Eintrittsalter in den Ruhestand um drei Jahre angehoben. Bislang war bei Männern mit 60 Jahren Schluss, Frauen schieden mit 55 Jahren aus dem Berufsleben aus. Das führt zwar zu einer Entlastung, ist aber für die hohe Jugendarbeitslosigkeit kontraproduktiv. Der Genehmigungsstopp beim Neubau kann zwar die Überkapazitäten abmildern, übt aber Druck auf die Branchenbeschäftigten aus. Teilweise müssen Regierungsangestellte mit Gehaltskürzungen von bis zu 50 Prozent hinnehmen, berichtet Sommer weiter. „Früher gab es eine klare Linie, nun sind die Einzelmaßnahmen nicht aufeinander abgestimmt.“
Aber auch die Unternehmen selbst agieren mit ruinösen Preisen. So fürchten Europäer, dass befeuert vom Zollkrieg der USA gegen China chinesische Portale mit Billigprodukten den Kontinent fluten. Sommer beobachtet auch in dem Riesenreich selbst eine ähnliche Strategie. „In den Branchen Bau, Auto und Maschinenbau muss alles raus aus den Lagern.“
Diese Entwicklung „trifft uns ins Mark“, weil es um die Kernbereiche der deutschen Industrie gehe. Zudem hätten deutsche Firmen Schwierigkeiten, beim chinesischen Innovationstempo mitzuhalten. Die Ursachen für die aktuellen Bremsspuren hierzulande im Chinageschäft sieht der Chinakenner eher in Europa und Deutschland. Er illustriert das an der Plattformstrategie der deutschen Autobauer. Für Chinesen sei das „Auto eine Art Lebensraum auch zum Essen oder Wohnen“, spitzt er zu, darauf sei ein deutscher Top-Ingenieur nicht eingestellt. Zusätzlich wirft der Boom bei E-Autos und dem autonomen Fahren die Frage auf: warum überhaupt noch vorn sitzen?

Für Sommer ist klar, dass sich die Märkte völlig anders entwickeln. Er denkt dabei an eine Servicekultur, die sich aus der digitalen Vernetzung ergibt. So rufe in China der Autohändler beim Halter an, um ihn auf einen platten Reifen hinzuweisen. Sollte das Auto in den nächsten Stunden nicht gebraucht werden, würde es in der Zeit repariert.
Die Effizienz deutscher Autoproduzenten muss neben der Aufholjagd bei E-Autos auch ein neues Verständnis vom chinesischen Markt gewinnen. Am besten mit einem Preisschild unter 15.000 Euro – das ist das Problem“. Bei den Entwicklungszyklen für neue Modelle sollten es nur noch zwei Jahre sein, statt vier bis fünf. Außerdem verbaue BMW in seinen Fahrzeugen für China die Technik für Huawei. Es sei klar, dass so ein Wagen nie ins Verkaufsregal in den USA komme. „Die Globalisierung ist dadurch nicht in Gefahr, wir erleben eine Regionalisierung der Globalisierung.“ Auch aus geopolitischer Sicht werde das Thema z.B. beim Netzupgrade von 5G auf 6G präsent. Denn europäischer Datenschutz und Sicherheitsstrategie funktioniere nicht, wenn man die Netze nicht trenne. Jede Weltregion habe andere Anforderungen.
Glokalisierung statt Globalisierung
Eine sogenannte Glokalisierung bedeutet aus Sommers Sicht, dass man in Deutschland Kompetenz an das Management vor Ort abgeben muss. Durch mehr Selbstständigkeit vor Ort lasse sich auch eine höhere Geschwindigkeit am chinesischen Markt erreichen. Das derzeit an der Kundschaft in Fernost vorbei produziert werde, bezeichnet er als bekanntes Problem und daher ein „Managementversagen“.
Der Chef des German Centre Shanghai, eine Tochtergesellschaft der BayernLB mit seinen 30.000 qm Büroflächen, rät deutschen Unternehmen zu einem Joint Venture, wie es früher praktisch üblich und Pflicht war. Seiner Erfahrung zufolge sei das eine sinnvolle Zusammenarbeit, die einen Mehrwert in den chinesischen Märkten liefert. Die Sorge, etwa von Verletzungen von Patenten oder Schutzrechten, sieht Sommer nicht. Die Gerichte in China sprechen Recht – „aber nur solange, wie es nicht politisch wird“.
Dem Postulat von Wandel durch Handel erteilt er eine Absage. „Die Systeme nähern sich nicht aneinander an.“ Mit einem Blick in die Glaskugel sehe er drei große Systeme, den demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, autokratische bis hin zu diktatorischen Staaten sowie religiöse Staatsformen. Als „glühender Europäer“ forderte er die EU-Länder auf, mit einer Stimme zu sprechen und sich nicht mir `wir könnten´ oder `wir sollten´ aufzuhalten. Sonst bekäme Europa im Wettstreit von China und USA nicht genug Schlagkraft.
Die Veränderung der wirtschaftlichen Weltordnung sorge für neue Konstellationen, wie etwa die Partnerschaft von China, Japan und Südkorea als einige der führenden Wirtschaftsnationen zeige. Ein weiterer Blick in seine Glaskugel zeige, dass sich die USA auf eine Rolle auf Platz 2 der Wirtschaftsmächte einstellen müsse. Und wenn in China über Nacht das Konsumvertrauen zurückkommt, sollte die deutsche Wirtschaft genug Produkte haben, die innovativ genug sind und die die Konsumenten bezahlten wollen.
