Die Nürnberger Lebkuchen-Familie, eine der inoffiziellen Heiligtümer der Stadt, hat Zuwachs bekommen. Erstmals bietet der kleine Laden für jüdische Produkte „Brauch“ in der Spitalgasse koschere Lebkuchen. Diese Sonderedition von 4.000 Stück stammt aus der Fertigung des Nürnberger Traditionsunternehmens Lebkuchen-Schmidt. Zwischen siebenarmigen Chanukkaleuchtern, koscheren Chips und Geschenkartikeln finden sich nun auch die koscheren Leckereien in typischen Blechdosen. Der jüdische IT-ler Vitali Liberov, der nebenberuflich als „Überzeugungstäter“ im Mai diesen Jahres sein Geschäft eröffnet hat, hofft auf eine gute Nachfrage. Der neue Lebkuchen ist „koscher, vegan und bio“ aufgebaut. Wichtiger als das derzeit noch flaue Geschäft ist ihm aber die Verständigung. „Wir wollen mit diesem jüdischen Laden Brücken bauen und die Nürnberger und die jüdische Geschichte zusammentragen.“
Immerhin hat Nürnberg seit dem Mittelalter eine lange, aber auch – vorsichtig ausgedrückt – eine wechselhafte Geschichte. Das Geschäft liegt einen Steinwurf vom ausgelöschten jüdischen Viertel an Haupt- und Obstmarkt entfernt. Auch zu der von den Nazis zerstörten Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz sind es nur ein paar Schritte. Zudem begann vor exakt 175 Jahren ein erfolgreiches und karitatives Unternehmertum, als der Hopfengroßhändler Joseph Kohn 1850 als erster Jude wieder Nürnberger Bürgerrechte erhielt. Damit beginnt ein neues und imposantes Kapitel jüdischen Wirkens, dass unter den Nazis ein bitteres Ende findet.
Der koschere mit Schokolade überzogene Lebkuchen aus Nürnberg dürfte weltweit der einzige sein, glaubt Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg. Entsprechend groß ist seine Freude: „Wir reden momentan viel über Antisemitismus, jetzt haben wir etwas Positives und Tolles gerade in Nürnberg.“ Die aufgeheizte Stimmung, mit der die Verteidigung Israels nach dem Terror-Angriff der Hamas begleitet wird, ist wenig hilfreich. Zu Recht sind das blutige Vorgehen des israelischen Militärs gegen die Zivilbevölkerung in Palästina und die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik im Westjordanland zu kritisieren. Ein koscheres Lebensmittel aus Nürnberg lässt sich aber nicht in Sippenhaft nehmen.
Die Idee für einen koscheren Lebkuchen ist in der einstigen Reichsstadt Nürnberg nicht nur wegen der jüdischen Tradition naheliegend. Bereits seit dem Mittelalter ist die Lebküchnerei in der Stadt nachgewiesen. Mit der Gründung des Nürnberger Städtepartnerschaftsvereins mit der israelischen Küstenstadt Hadera im Jahr 2019 entstand die Idee, einen koscheren Nürnberger Lebkuchen zu entwickeln. „Wir wollten mehr Nürnberg auf dem Wintermarkt nach Hadera bringen“, sagt Diana Liberova, Vorsitzende des Partnerschaftsvereins. Dazu gehöre auch der weltbekannte Lebkuchen, der natürlich koscher sein müsse.
In der Fertigung von Lebkuchen-Schmidt nahmen zwei orthodoxe Rabbiner sowohl die Produktion als auch die Inhaltsstoffe genau unter die Lupe. So durften etwa die Backbleche nicht mit Schweinefett in Berührung gekommen sein, auch Mehl musste besondere Anforderungen erfüllen. Als Schokolade für die Elisen-Lebkuchen kam nur eine vegane Variante in Frage. Einfacher ist es mit den Gewürzen für die auch Honig- oder Pfefferkuchen genannte Leckerei. Prinzipiell gelten unverarbeitete Gewürze, wie Ingwer, Zimt, Nelke oder Kardamom nach den jüdischen Speisevorschriften Kaschrut als koscher. Erst dann starteten sie per Knopfdruck die Fertigung.

Dass Lebkuchen-Schmidt nun die Produktion übernommen hatte, war für Firmenchef Gerd Schmelzer naheliegend. Die zunächst einmalige Aktion sei ein „Zeichen der Verbundenheit“. Denn die vergleichsweise kleine Stückzahl verlangte nach einer aufwendigen Umstellung. Neben einer besonderen Grundreinigung für die koschere Produktion musste auch die Fertigung, die bereits seit Sommer auf Hochtouren für die Weihnachtssaison läuft, inklusive Backöfen unterbrochen werden. „Es ist ein Beginn, es kann sich etwas entwickeln“, zeigt sich Schmelzer für die Zukunft zuversichtlich.
„Ich glaube, die koscheren Lebkuchen können ein Hit werden“, meint Jo-Achim Hamburger und denkt dabei an eine Nachfrage aus den USA. Aber auch für orthodoxe Juden in Nürnberg sei das Angebot wichtig. Es gebe beispielsweise kein einziges Lokal in Nürnberg, in dem koscheres Essen serviert werde. Selbst der Einlauf von Lebensmittels sei heutzutage „eine echte Herausforderung“. Der Vorsitzende der der Israelitischen Kultusgemeinde selbst hat allerdings schon immer Lebkuchen gegessen – „egal ob koscher oder nicht“.
