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Wer mehr leistet, sollte auch mehr bekommen

70 Prozent erkennen laut IAB den hohen Nutzen sozialstaatlicher Leistungen an

Der angekündigte Herbst der Reformen rückt den Sozialstaat mit seinem Bürgergeld in den Fokus. Kanzler Merz bezeichnete die Reformen unabdingbar für das Ziel, um ebendiesen Sozialstaat erhalten zu können. Allerdings lassen sich dadurch keine – wie angekündigte Milliardenbeträge einsparen. Der entsprechende Gesetzentwurf regelt den Wandel weg vom Bürgergeld hin zur Grundsicherung. Durch die verschärften Bedingungen lassen sich im nächsten Jahr voraussichtlich 86 Millionen Euro einsparen. 2027 sinken die erwarteten Einsparungen wohl auf 69 Millionen Euro. Dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge erkennen rund 70 Prozent den hohen Nutzen sozialstaatlicher Leistungen an. Die Nürnberger Denkfabrik identifiziert auch knapp zwei Drittel, die die damit verbundenen Kosten für ein Problem halten. Eine knappe Mehrheit, darunter viele Menschen mit niedrigem Einkommen, glaubt zudem, dass Sozialleistungen „faul machen“.

Die Sorge vor einer „soziale Hängematte“ findet auch bei fast zwei Drittel der Geringverdiener Zustimmung. Das sind statistisch die Menschen, die im unteren Viertel der Einkommensverteilung liegen. Aber auch unter Erwerbstätigen, die ergänzend zu ihrem Einkommen Leistungen erhalten, stimmt jede zweite Person dieser Aussage zu. Das zeigt, dass auch sogenannte Aufstocker kritisch auf den Sozialstaat schauen. Immerhin machen sie regelmäßig eigene Erfahrungen mit dem Sozialsystem. „Gerade wer trotz Arbeit nur wenig verdient, erlebt das Spannungsfeld zwischen Arbeit und Absicherung besonders deutlich“, so IAB-Forscher Jens Stegmaier.. „Und bei diesen Menschen ist in unseren Daten auch das Bedürfnis nach Leistungsgerechtigkeit besonders hoch.“

Insgesamt genießt das Leistungsprinzip in Deutschland eine hohe Akzeptanz: Ungefähr drei von vier Erwerbstätigen sind der Meinung: Wer mehr leistet, sollte auch mehr bekommen. Die Befragung wurde im Frühjahr – weit vor dem Herbst der Reformen – durchgeführt.

Der Begriff des Leistungsprinzips und des Leistungsmissbrauchs lässt sich auch weiter fassen. Der Verein Netzwerk Steuergerechtigkeit schätzte den Betrag durch Steuerhinterziehung zuletzt auf 100 bis sogar 125 Milliarden Euro pro Jahr. Die Steuerfahndung konnte 2023 in insgesamt 34.600 Fällen rund 2,5 Milliarden Euro eintreiben. Dafür gab es Freiheitsstrafen in einem Gesamtumfang von 1.460 Jahren.

Bei der Reform des Sozialstaates ist aber nicht nur an Bürgergeld, Renten, teure Pflege und marode Krankenhäuser zu denken. Zum Leistungsprinzip gehört auch, das Ungleichgewicht zwischen Steuer auf Arbeitseinkommen und Vermögen aufzulösen. Die Klage über Deutschland als Hochsteuerland bezieht sich laut dem Netzwerk Steuergerechtigkeit auf den Lohn eines Durchschnittsverdieners. Der musste im Jahr 2022 rund 48 Prozent Steuern und Abgaben berappen. Dagegen ist die Republik für Vermögen ein Niedrigsteuerland. Die NGO diagnostiziert für sehr hohe Vermögenseinkommen im Vergleich zu Arbeitseinkommen eine deutlich geringere Steuer- und Abgaben.